Die Zukunft der Architektur als Erfolgsfaktor

Die Zukunft der Architektur als Erfolgsfaktor

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Hinweis:

Die Basis für diesen Artikel lieferte die Zukunftszeichen-Podcast-Folge mit Anna Philipp.

Die Schönheit der Architektur als Erfolgsfaktor und deren Auswirkung auf die Menschen // ZZPODCAST #07


Anna Philipp

preisgekrönte Architektin


Architektur als Erfolgsfaktor

Anna Philipp würde gerne Schönheit an einem Lehrstuhl lehren, den es noch einzurichten gilt. Diese Aussage über Wünsche für die Zukunft zeigt, für was sie wirklich brennt. Sie selbst möchte keinen Titel, sie möchte Raum zum Gestalten und so hat sie auch ihren damaligen Ansatz sich als Villenmacherin zu bezeichnen verworfen. Sie hat Vorbilder wie den englischen Architekt John Pawson, der auch die Moritzkirche in Augsburg in einen Lichtraum verwandelte.

Das Gebäude ist ein Kommunikationswerkzeug nach innen und außen.“

Sätze wie DIESER, von einem norwegischen Unternehmer (Telenor – Kommunikationsunternehmen), inspirieren sie.

Architektur im Umbruch

Es gab immer wieder wesentliche Veränderung der Architektur, z.B. nach Krankheiten wie der Cholera. Auch Hausmann (Paris) reagierte damals darauf und verbreiterte Straßen. Neue Stadtbilder entstanden und Städte wuchsen anders als zuvor. Dies war eine Reaktion auf Industrialisierung, da immer mehr Menschen in die Städte kamen und unter anderem die Hygiene zum echten Problem wurde. Auch andere Beispiele im und nach dem zweiten Weltkrieg zeigten, dass enge Gassen in Altstädten den Feuerwehren zu schaffen machten. So verbrannten ganze Städte und wurden nach dem Kriegsende neu angelegt. Im Bauhaus spielen Licht, Luft und Sonne eine große Rolle. Für Philipp kommen zwei weitere Punkte dazu, die „als Grundurmotive Dinge ändern“: „Angst und Liebe. Angst macht Enge. Liebe kann Kreativität und Räume öffnen und weiten.“

Die schnelle Entwicklung in den letzten Monaten stellt auch die Architektur und Stadtentwicklung auf die Probe. Während das Landleben durch Homeoffice wieder interessanter wird und Eigentum auch finanzierbarer, werden Büroflächen in den Städten verfügbar und große Flächen im Einzelhandel. Die hohen Mieten der besten Lagen werden nicht mehr zu halten sein. Innenstädte verändern sich, Erträge werden digital erwirtschaftet. Das erste oder zweite OG in der Innenstadt wird wieder zu Wohnungen umgebaut.

So wird auch die Landflucht gebremst und wir lernen das Land wieder schätzen. Glasfaser und 5G beschleunigen diese Entwicklungen. Unternehmen fragen sich, wo zukünftig Büros sinnvoll sind und was dort noch passiert. Brauche ich große, teure Flächen in der Innenstadt? Vielleicht braucht man ja nur einen Arbeitsplatz für mehrere Mittarbeitende oder ein Standort im Vorort? Der wäre nicht weit von der Stadt entfernt, in der man wohnt und schnell mit den ÖPNV zu erreichen. So sinken die Mietkosten und die Land-Fans pendeln dadurch nicht mehr so lange mit dem Auto. Gleichzeitig steigt im Innenausbau die Automation und im privaten Sektor lernen wir langsam, dass Smart Home nicht nur der sprachgesteuerte Lichtschalter oder die Klingelanlage ist.

Das Thema Nachhaltiges Bauen ist eine der großen kommenden Revolutionen neben der „klassischen Digitalisierung“ und den Entwicklungen in der Biochemie. Beton hat nach wie vor eine katastrophale Klima-Bilanz und frisst Küstenstreifen (Sandbedarf). Alleine der Sektor „Bau“ verantwortet 38% des CO2 Ausstoßes weltweit. Und gedämmt wird noch immer weitgehend mit klassischen Materialien wie Mineral- und Glaswolle, Styropor und anderen synthetischen Dämmstoff(platten) statt mit Seegras, Hanf, Altpapier, Baumwolle, Jute, oder Pilzkulturen. Doch so schwarz-weiß ist auch dieser Themenbereich nicht: Brandschutz, Schadstofffrei- oder Armheit und Wiederverwendbarkeit (Sortenreinheit, um Materialien später mal in die Kreislaufwirtschaft zurückzuführen) sowie eine starke Lobby der klassischen Materialen als auch Förderansprüche und Verfügbarkeiten spielen eine entscheidende Rolle.

Philipp sieht Schönheit als zusätzliche Ressource um Nachhaltig zu bauen. „Schönheit war lange immer eher sekundär bzw. untergeordnet.“. Was sie damit meinen könnte: Ästhetik führt zur nachhaltigen und intensiveren Nutzung und damit zum erhöhten Werterhalt. Sie fordert auch klar und bestimmt: „Wir brauchen mehr Platz für die Bewohner. Es gibt zu wenig Wohnraumqualität für Homeoffice“.

Das neue Heim, das Home-Office. Erfolgreiche Orte.

Corona verändert mehr als wir es uns aktuell noch vorstellen können. Wie in einem riesengroßen Feldversuch durften Teile der Bevölkerung zu Hause arbeiten und Schüler im Fernunterricht mehr Eigenverantwortung üben. So viele Erfahrungen führen zu neuen Einschätzungen: Anwesenheitspflichten fallen, nur noch 50% der Menschen wollen wieder zurück ins Büro. „Wie müssen Unternehmen jetzt „gebaut“ werden?“ fragt Philipp und „Homeoffice hat auch Auswirkungen auf Verkehr.

  • Sind Wohnungen Büros?
  • Und können Büros in Wohnungen betrieben werden?“.

Und es stellen sich mehr und mehr Fragen:

  • Wie sieht die Work-Life-Balance dann aus?
  • Wie sehen Ort der „Zusammenkünfte“ aus?
  • Nimmt die Relevanz dieser Orte durch „Zusammenkünfte“ zu?
  • Werden wir dadurch fokussierter und nehmen uns dafür mehr Zeit für den Austausch?
  • Und wo findet dieser statt? In vielen kleinen Kantinen?

Denn, so überzeugt Stefan Lingner, „Innovationen passieren im zufälligen Aufeinandertreffen von Personen. An den Kaffeemaschinen im Unternehmen.“ Diese Orte werden sich zum Teil neu entwickeln. Nicht in jedem Unternehmen 2021 und 2022, aber nachhaltig und schneller als die Digitalisierung in den letzten 20 Jahren. Diese Begegnungen muss man neu inszenieren. Aber eben nicht wirklich inszenieren, eher natürlich entwickeln. Die Start-Up Kultur zu kopieren ist zu einfach und nicht authentisch. „Es muss zum Unternehmen passen: Wer bin ich? Für was stehe ich? Wie sieht der perfekte Raum für meine Mitarbeiter aus?“ so Philipp.

In einer Befragung sprach sich die Mehrheit der Mitarbeitenden für schönere Räume aus als sie wählen durften, ob sie mehr Gehalt oder schönerer Räume bekommen könnten. Von der anderen Seite betrachtet: Ein attraktiver Tagungsort wird immer funktionieren. Egal ob gerade Acro-Yoga in ist oder der Vereinsausflüge der Landfrauen aus St. Peter-Ording eine Destination sucht. Und ein altbackenes Café mit schlechtem Espresso an einer Ecke mit Sonne in der besten Innenstadtlage wird ähnlich erfolgreich sein wie ein Hipster-Burger-Restaurant. Philipp formuliert das so: „Ein Raum kommuniziert an alle Sinne, auch an die unterbewussten. Es geht mehr um Wahrnehmung als Geschmack. Das Gebäude muss echt sein. Man sieht auch ob man verkleidet ist oder die Kleidung zum Menschen passt.“

Vom Büroturm zum Campus

Nochmal zurück zur Nachhaltigkeit. Es gibt „Blue Building“, die Kombination aus ökologischem und ökonomischen Architekturansatz und „Green Building“, der ökologische Architekturansatz. Philipp geht grundsätzlich ganzheitlich an das Projekt: Ökologie, Schönheit und Funktion. Der Nutzer steht im Mittelpunkt. Flexibleres Bauen um für die Zukunft besser aufgestellt zu sein. Auch das ist Nachhaltigkeit.  

Zeige mir, wie du baust und ich sage dir, wer du bist.

Christian Morgenstern

Philipp mag außerdem den Campusgedanken wie in den USA. Davon sind wir in der Regel noch weit entfernt. Verwandte Entwicklungen gibt es bereit: Wohnen, Arbeiten und vieles mehr im „eigenen“ Quartier gibt es bereits. Zum Beispiel im entstehenden innenstadt-liegenden neuen Stadtteil „Neckarbogen“ in Heilbronn, der seit 2018 bis 2029 gebaut wird. Drei Baufelder mit Innenhöfen, gefördertem Wohnraum direkt am Neckar und mit eigenem Park inklusive Seen, Spielplätzen und Kletterfels sind seit Ende 2018 bereits bewohnt. Eine Jugendherberge ist in Betrieb und eine Schule im Bau, Cafés und weitere Gewerbetreibende haben sich in den Erdgeschossen angesiedelt. Oben wird gewohnt und geparkt wird nur unter der Erde. Die Kinderbetreuung ist ebenfalls möglich und die Brücke (Ende 2021) zum Hauptbahnhof garantiert eine schnelle Anbindung an den ÖPNV. Ein weiterer Ansatz: „Die 15 Minuten-Stadt“ (Besorgungen, Kontaktpunkte), die unter anderem in Paris entwickelt wird, um Stadtteile wieder attraktiver werden zu lassen. 

Doch der Campus-Charakter ist besonders reizvoll, denn während Corona fühlte man viel Geborgenheit. Diese braucht es nun auch in neuen Räumen zum Arbeiten. Doch auch hier werden Unternehmen mit hohen Gehältern die Entwicklung verzögern und Menschen die Entscheidung erschweren, wo sie wirklich arbeiten möchten.  

Harry Gatterer vom Zukunftsinstitut spricht immer wieder von der „Glokalisierung“, diese Entwicklung wird die Arbeits- und Wohnräume ebenfalls massiv verändern.

Arbeitswelten im Büro

Was ist Arbeit?

  • Arbeit ist kein Ort
  • Zusammenarbeiten heißt nicht zwangsläufig zusammensitzen
  • Ins Büro kommen wir, wenn es radikal relevant wird
  • Büro ist Raum für Identifikation
  • Freunde gemeinsam erleben
  • Kulturreflektor/Bildner

Wie und wie gut sich das Homeoffice in das Büroleben integriert, ist eine weitere Frage. Homeoffice kommt jetzt zum gerade erst erlernten Open Space hinzu. „Großraumbüros sind out. Die meisten Menschen wünschen sich jedoch Einheiten von drei bis acht Personen. Auch unter Pandemiegesichtspunkten ist das gut.“ so Philipp. Sie erzählt außerdem von ihrem Konzept der „Business Families. Raum zum Arbeiten aber auch zum gemeinsamen Essen am Tisch. Weg vom Open Space.“ 

Und dieses Konzept ist lange vor Corona entstanden. „Während dem ersten Corona-Lock-Down hat die Familie als einziges noch funktioniert als Einheit. Warum transportieren wir die Erkenntnis nicht in die Geschäftswelt: Wir entwickeln Business-Units, die funktionieren und wenn was „verrutscht“ ist das nicht so schlimm und so gibt man auch in großen Unternehmen und Konzernen einzelnen Mitarbeitern die Möglichkeit sich zu verwirklichen.“ … „Zur Problemlösung kommt man zusammen und dann auch wieder auseinander.“ so Philipp. 

Orte der Schönheit

Philipp beschreibt ihre Arbeit als „Erfüllung und Glück“. Und sie schwärmt: „Es gibt Orte der Schönheit. Wenn ich an solch einem Ort bin, fühle ich mich, als löse ich mich auf. Ich werde eins mit Schönheit und dem was es übergeordnet gibt, eine Berührung mit unsichtbarer Realität.“ … „Schönheit ist Wahrnehmung für mich, etwas tieferes Inneres.“

Sie erzählt außerdem von einem aktuellen Projekt eines naturnahen Unternehmens. Das Objekt „läuft in die Weinberge hinein“. Die Zugänglichkeit des Gebäudes stand im Fokus und wird durch vieles wie dem Material und Farben fühlbar gemacht. „Ich kann Respekt oder Nähe generieren.“, so Philipp. Wenn sie ein Gebäude betritt weiß sie bereits, ob sie gerne mit den Personen arbeiten möchte oder nicht.

Philipp setzt sich ein für die Schönheit in der Architektur. Sie sagt „Schöner Raum ist lebensbejahend“. Früher gab es hier noch eine Balance von Funktion und Schönheit. Nun befinden wir uns wieder in einer Umbruchsphase und Schönheit bekommt wieder Raum: Neuen Möglichkeitsraum. Im Podcast kann man richtig fühlen, wie sich Philipp darauf freut und sich als Teil dieses Umbruchs fühlt.

„Orte der Schönheit sind Ort zum Auftanken.“ Sie empfiehlt einen Film von Roger Scruton: „Why Beauty Matters“ für alle, die sich weiter für das Thema begeistern.

Als eigenes umgesetztes Beispiel für dieses Gefühl des Auftankens nennt sie das Gebetshaus Augsburg, einen Umbau eines Fitnesscenters zum “Kloster 2.0“. Mit viel Kreativität im Um- und Anbau. Mit einem schwarzen Raum mit goldenem Kruzifix für die Auszeit im Kloster – in modern.

Als weiteren Ort der Schönheit nennt Philipp den Skyspace, einen Lichtraum. Das Kunsterlebnis von James Turrell in Oberlech.

Philipps Engagement für die Schönheit brachte auch eine neue Konferenz hervor, die 2019 erstmals stattfand, erarbeitet mit Freunden: Die Schönkonferenz. „Es gab für alle Einzeldisziplinen Konferenzen, aber nicht interdisziplinär,“ erklärt Philipp. Auf der Schönkonferenz spielten Künstler aus allen Bereichen eine Rolle. Vom Geigenbauer über Musiker bis hin zu Philosophen. 2020 verzichtete man auf eine digitale Umsetzung, da man sich einig war die besondere Atmosphäre aus dem Gründungsjahr nicht digital erzeugen zu können.